Die Bürger sind zu bequem!

Besucherin: Also, was mich jetzt gestört hat an der ganzen Sache: Diese Kumpanei, die zwischen der Regierung und der Kirche besteht und warum wir uns als Bürger das gefallen lassen und da nicht dazwischenhauen und unsere Politiker aufrütteln und uns einmal auf die Hinterbeine stellen und die zur Verantwortung ziehen, das verstehe ich nicht.

Die Leute können doch nicht so unaufgeklärt sein, dass sie nicht wissen, was passiert?

Prof. Hubertus Mynarek: Genau das ist der Fall.

Besucherin: Die Bürger sind zu bequem, die Politiker zur Verantwortung zu ziehen. Die sind doch von uns eingesetzt, die sollen doch für uns sprechen und net für die Kirche und net für den Staat, sondern die lassen sich von uns als Bürger wählen und wollen immer nur unser Bestes. Und die zocken uns über die Kirchensteuer und über die Steuern ab. Warum lassen wir uns denn das gefallen? Was ist das überhaupt für ein Staat, der mit der Kirche so eine Verbindung eingeht? Da komme ich nicht ganz mit.

Gerhard Rampp: Glauben Sie im Ernst, dass Politiker, die bei der LKW-Maut sich so verhalten, wie sie sich verhalten oder bei der Gesundheitsreform, dass die von dem Verhältnis von Staat und Kirche mehr Ahnung haben?

Besucherin: Das mag schon alles sein, aber da sind doch 600 Politiker in Berlin, und wir sind doch Millionen! Ja, kann man denn da nichts bewirken, das verstehe ich nicht.

Prof. Hubertus Mynarek: Das liegt an der Struktur unserer Demokratie. Wir haben ja eine repräsentative Demokratie. Wir haben nicht, wie in der Schweiz, ein Wahlrecht für alle in dem Sinne, dass alle über wichtige Punkte abstimmen können. Wir können alle vier Jahre zur Wahl gehen, und dann machen natürlich die Politiker der Parteien, die wir gewählt haben, was sie wollen.

Besucherin: Die wurden ja gewählt von uns, um uns zu unseren Gunsten zu regieren.

Prof. Hubertus Mynarek: Sie wissen aber doch, was vor den Wahlen versprochen wird und was nach den Wahlen gemacht wird.

Besucherin: Ja, aber, die muss man doch auf diese Dinge hin ansprechen und einmal zum Laufen bringen.

Prof. Hubertus Mynarek: Ja, helfen Sie mit. Ich freue mich, dass heute Abend so viele Menschen gekommen sind – und doch ist es gegenüber der Einwohnerzahl von Augsburg nur ein verschwindender Prozentsatz. Und das ist in anderen Städten auch so. Gut, zu manchen „Mahnmal“-Veranstaltungen kommen 500 oder 600 oder auch über 600 Leute. Aber im Verhältnis zu der Masse?

Politiker sind Leute, die quantitativ denken, und die sagen sich: Die Masse tut ja sowieso nichts gegen uns. Also, können wir ruhig so weiter regieren, wie wir das tun. Da sehen sie die Kirche als eine organisierte Macht – die katholische Kirche zum Beispiel ist von allen Religionen, von allen religiösen Institutionen, die perfektest organisierte. Und da sie perfektest organisiert ist, hat sie ihre Macht und kann ihren Einfluss geltend machen. In Berlin haben sie das katholische und evangelische Büro usw., am Sitz jeder Landesregierung haben sie ihre Büros. Sie haben Einfluss überall, bearbeiten ständig die Staatssekretäre usw. Und da können Sie sich vorstellen, dass Politiker einfach Angst haben vor der Macht der Kirche.

Treten Sie aus der Kirche aus!

Besucherin: Und wir lassen uns das gefallen? Wenn wir uns das weiterhin so gefallen lassen, dann haben wir es nicht anders verdient. Dann zahlen wir immer wieder noch mehr Steuern und müssen den Mund halten, wenn wir andererseits uns auch den Mund nicht aufzumachen trauen. Dann ist es so, wie es ist!

Gerhard Rampp: Sehen Sie, genau deshalb muss man natürlich auch solche Veranstaltungen machen, die einfach einmal aufklärend wirken. Aber vielleicht sehen wir da auch noch einen Mangel: Es ist nämlich vorher schon klar gesagt worden, die Kirchen sind ausgezeichnet organisiert. Es ist ja so, dass inzwischen weniger als die Hälfte der Bevölkerung noch hinter den Kirchen stehen. Selbst die Kirchenmitglieder sind auch nur noch ein gewisser Teil. Aber das Problem ist, dass die Politiker glauben, ein beachtlicher Teil der Bevölkerung höre noch auf die Kirchen, obwohl es in Wirklichkeit inzwischen eine Minderheit ist. Und entscheidend wird Politik halt nicht gemacht nach dem, was objektiv ist, sondern nach dem, wovon die Politiker glauben, dass es das ist. Und dieser Eindruck wird eben erweckt durch die sehr stark organisierten Kirchen. Wir haben ja vorher die Zahl gesagt, nur noch 63% der Bevölkerung sind katholisch oder evangelisch.

Dieter Potzel: Und wenn noch mehr Bürger konsequenter wären, wären es noch weniger. Sie sind ausgetreten?

Besucherin: Nein. Ich bin römisch-katholisch.

Prof. Hubertus Mynarek: Treten Sie aus!

Gerhard Rampp: Genau das ist eigentlich schon der erste Punkt: Solange Sie Mitglied der katholischen Kirche sind, solange ...

Prof. Hubertus Mynarek: ... solange gehören Sie zu denen, die das tadeln, was sie selber machen.

Gerhard Rampp: Man muss sich vorstellen: Jeder dritte Evangelische und jeder fünfte Katholik ist von seiner Überzeugung her praktischer Atheist, so dass man fast sagen könnte: Es gibt innerhalb der Kirche fast mehr Atheisten als außerhalb. Ja, da muss ich mich fragen, warum sind die eigentlich noch drin? Einfach, weil die nicht auf’s Standesamt gehen und ihren Austritt erklären.

Prof. Hubertus Mynarek: Ja, wir machen nichts dagegen! Wir treten nicht aus der Kirche aus!

Besucherin: Ich würde sofort austreten, wenn fünf Millionen mit mir austreten!

Dieter Potzel: Fangen Sie einfach an! Es sind ja schon viele vorausgegangen. [Mehr]