Immanuel Kant (1724 - 1804)

Besucher: Eine kleine Kritik möchte ich anbringen und zwar: Wir denken zu sehr neuzeitlich, vielleicht schon fast postmodern über Zusammenhänge aus der Antike und aus dem Mittelalter. Was vergessen wird: Der Mensch im Mittelalter hat anders gedacht als wir, er hatte ein anderes Weltbild, und zwar komplett anders. Der Bruch ist deutlich in der Renaissance, spätestens beim Aufstieg der Naturwissenschaften. Und wenn man die Antike mit neuzeitlichen Augen betrachtet, dann kommt ein Missverständnis raus, weil die Werte, die wir haben, nicht die Werte von früher sind. Da wäre ich einfach vorsichtig zu sagen: Ja, die Kirche wollte da nur Kohle haben, oder so weiter.

Wenn man bedenkt, dass in dieser Zeit ein ganzes soziales Gefüge kaputtgegangen ist, in ganz Europa, dass da einfach ein Loch gewesen ist, wo kein Mensch mehr gewusst hat: Wer bin ich? Wo stehe ich eigentlich? Was ist hier Ordnung? Und dann ist die Kirche gekommen, hat dieses Vakuum gefüllt. Ich bin kein großer Freund der Kirche. Aber ob man nun Kant gegen Thomas von Aquin austauscht, ist für mich nicht wichtig, und ob ich einen spröden Pietisten oder einen fanatischen Katholiken habe, ist mir ehrlich gesagt gehupft wie gesprungen.

Prof. Hubertus Mynarek: Die Aussage war, man müsse die Intention der damaligen Zeit berücksichtigen und wir würden vom neuzeitlichen Standpunkt aus urteilen. Sie kennen die Geschichte wirklich nicht: In demselben Zusammenhang, in dem wir hier das frühe Mittelalter und die Haltung der Kirche gegenüber dem Kaiser usw. kritisiert haben, in demselben Sinne bringt z.B. Kaiser Julian die gleiche Kritik. Oder der Philosoph Celsus, der die gleiche Kritik äußert, die ich hier angebracht habe, am anpasserisch-verbrecherisch geldgeilen Getue der Kirche. Sie können also uns nicht vorwerfen, dass wir mit neuzeitlicher Brille auf die antiken Dinge herabschauen.

Sodann die These: Als das ganze Imperium Romanum, das Römische Imperium, zerbröckelte, da kam als einzige Ordnungsmacht die Kirche. Nein! Die Ordnungsmacht Kirche kam, weil der Kaiser sie eingesetzt hat und weil er sie mit ungeheuren Privilegien beschenkte. Hätte er die Mithras-Religion, die damals auch stark war, mit denselben Privilegien beschenkt, wäre dasselbe passiert.

Und zweitens: Die Ordnungsmacht Kirche zeigte sich sofort. Ab dem 4. Jahrhundert brannten Synagogen, ab dem 4. Jahrhundert wurden heidnische Priester gefoltert, ihre Tempel wurden ihnen weggenommen usw. Das war die Ordnungsmacht Kirche. Tausende von Beispielen.

Weiter: Wenn Sie sagen, der Pietist Kant, dann ist das doch eine mangelnde Achtung gegenüber dem größten deutschen Philosophen. Denn dieser Pietist Kant kam tatsächlich aus einer pietistischen frömmlerischen Familie. Aber dieser Pietist hat sich von diesen Fesseln freigemacht und hat eine Philosophie geschaffen, in der die Ethik die Hauptrolle spielt, und zwar eine Ethik, die nicht aus den Geboten Gottes stammt, sondern die sich der Mensch selbst aufgrund seiner Vernunft, seiner natürlichen Vernunft, zurechtzimmern kann. Und dann kommen Sie mit einer solchen Bemerkung über Kant.

Aquin? Hat bloß katholische I-Tüpfelchen gesetzt

Thomas von Aquin (um 1225 - 1274)

Und dann war Kant wirklich etwas anderes als ein Thomas von Aquin, der ja nichts Eigenständiges gebracht hat, der ja nur die Philosophie des Aristoteles und ein bisschen von Plato „katholisch getauft“ hat, wie selbst katholische Theologen sagen, indem er immer das katholische I-Tüpfelchen darüber gesetzt hat.

Also, das ist schon ein Unterschied, ob ein säkularer italienischer Staat den Thomas von Aquin zum Bildungsideal erhebt oder einen Immanuel Kant. [Mehr]